Der Tagesspiegel, Juli 2001
In der DDR rennt Ines Geipel gegen die Stille an, die sie umgibt. Man lässt sie Pillen schlucken und sie sprintet in Rekordzeit. Erst aus den Stasiakten erfährt sie, was das für Medikamente waren. Und sie merkt, dass die Akten nicht die ganze Wahrheit erzählen können.
Nun wird eine Geschichte erzählt. In ihr kommt vor, was eine Geschichte heute braucht: Osten und Westen, Täter, Opfer, die Stasi, Doping und viel Vergangenheit. Damit ist sie eigentlich schon fertig. Warum? Jeder glaubt zu wissen, was gemeint ist.
Gönnen wir uns einen Kaffee. Er steht rabenschwarz auf dem Tisch. Ines Geipel kippt Sahne hinein. Der weiße Strahl stürzt hinab und taucht ins Dunkel. Sie kippt und kippt. Dann dauert es einen Moment. Nichts rührt sich. Noch ein Moment vergeht. Plötzlich verändert sich der Kaffee. Er wird heller und heller, unversehens, so, als verstelle jemand den Kontrast. Schließlich bleibt ein cremiges Braun. Ohne Zutun haben sich die Flüssigkeiten vermengt. Jeder kennt das mit dem Kaffee und der Sahne, aber ein Geheimnis bleibt es doch. So lange, bis jemand unten in der Tiefe der Tasse dabei gewesen ist.
Zunächst laufen die Ereignisse stumm ab, ohne Ton. Von hoch oben sehen wir die DDR, gut zu erkennen, denn soeben wurde drum herum eine Mauer gebaut. Dresden kommt ins Bild, blasse Farben. Es ist Anfang der 60er Jahre, Ines Geipel wird geboren. Sie ist wie andere Kinder hier auch: von Lebensraum umgeben, der sie einengt. Die Möglichkeiten sind begrenzt, aber sie ist nichts anderes gewohnt.
Sie lernt von den Eltern das Sprechen. Sie lernt, die Worte zu wählen und was es überhaupt so zu sagen gibt. Bald beginnt sie zu fragen. Immer noch sind die Bilder ohne Ton, wir müssen uns an das halten, was wir sehen, fühlen, ahnen, so, wie es das Mädchen macht, wenn es etwa mit den Kinderfotos seiner Mutter auf dem Teppich sitzt. Was ist das für ein Strand, an dem du mit deinen Geschwistern spielst?, fragt der neugierige Blick. Die Mutter wendet sich nicht einmal um. Warum ist mein Onkel in Riga zur Welt gekommen? Das Mädchen kippt den Kopf zur Seite, lauscht auf die Antwort, die seine Mutter ihm nicht gibt. Wir sehen, wie das Kind von Mal zu Mal lernt, das Schweigen zu hören. Schließlich hat auch der Fernseher im anderen Zimmer viele Knöpfe, die man drücken kann, sagt es sich, doch nur zwei Sender. Es wandelt durch das graue, wortlose Nichts auf den leeren Sendeplätzen wie durch die tonlosen Erzählungen der Mutter. Etwas ist passiert, weiß es, aber niemand wird mir das erzählen.
Wenn die Mutter zur Tochter spricht, macht sie das auf Russisch. Dann bewegen sich ihre Lippen übermäßig. Aus ihrem Mund kommen Zischlaute, die sie vollpackt mit Emotionen. Das Kind spricht das Russisch auch, verfällt in Mimik und Gesten, und es ist, als sängen sie beide miteinander eine Melodie. Kaum jemand sonst beherrscht diese Melodie. Kaum jemand mag sie. Die Sprache, über die Mutter und Tochter sich verbündet haben, wird von fast allen anderen Menschen verachtet. Die Zärtlichkeiten, die das Kind gesagt bekommt, haben mit dem realen Leben nicht viel zu tun. Demnach muss es die Worte für Liebe, Kummer und Wut zweimal erfinden.
Man wird nicht erst erwachsen. Man grübelt nicht und kommt schließlich darauf, dass es besser ist, lieber gar nichts zu sagen. Sprachlosigkeit ist keine Idee, sondern ein Zustand. Er stellt sich ein, ehe man ihn überhaupt bemerkt.
Wenn das Leben denn eine Logik hat, dann folgt Ines Geipel ihr, als sie ab der dritten Klasse in Dresden eine Russischschule besucht. Wenn das Leben eine Logik hat, dann bedeutet es auch etwas, dass sie mit der neunten Klasse auf eine von zwei Russisch-Spezialschulen nach Wickersdorf in Thüringen wechselt. Die Kinder leben im Internat, außerdem gibt es eine Dorfstraße, Häuser, Wiesen und den Wald. Die Hausordnung, die Lehrer und Erzieher haben bald mehr Einfluss als die Eltern. Es ist vorbei mit dem Zuhause. Ines Geipel fragt sich, warum, aber sie rechnet gar nicht mit einer Antwort. An Wochenenden, zu Weihnachten reist sie kaum noch heim. Die Eltern holen sie nicht. Sie blickt aus dem Internatsfenster über die Wiese zum Wald. Der schweigt. Damit kann sie gut leben.
Sie beginnt, nachmittags in den Wald zu laufen. Die Stille nicht nur gedanklich abzuschreiten. Dabei kommt sie ungeahnt gut voran, und wenn sie abends zurückkehrt, schmerzen die Beine. Es ist ein neues Gefühl. Ines Geipel möchte mehr davon, beginnt zu rennen, sie mag nicht mehr starr sein, nicht mehr lauschen und abwarten - sie will schneller sein als sie selbst. Sie will sich hinter sich lassen.
Gestehen wir dem Leben die Logik zu, die es zuweilen verdient: Ein paar Jahre später läuft Ines Geipel, mittlerweile Sprinterin beim SC Motor Jena, mit der 4 x 100-Meter-Staffel DDR-Rekord. Es ist Anfang der 80er Jahre, das Land wird nicht mehr lange leben. Ines Geipel wird rennen bis fast zum Ende, die blonden Haare lang und offen, an den Waden Kniestrümpfe, was aus irgendwelchen Gründen untersagt ist. Sie könne keine Socken tragen, weil sie sonst friere, sagt die Sportlerin. Aber wir hören das nicht, denn auch diese letzten Bilder sind ohne Ton. Vier Sprinterinnen feiern ihren Sieg. Ines Geipel wird Mitglied der Nationalmannschaft und reist in den Westen. Man verarztet ihre Verletzungen. Muskelfaserrisse, Schienbeinreizungen, Krämpfe plagen sie. Sie erhält Schmerzspritzen. Sie erhält Medikamente, mit denen sie angeblich die Belastungen besser verkraften kann. Was sind das für Pillen? In allen Trainerzimmern der DDR wird diese Frage mit nahezu denselben Sätzen beantwortet. Es sind leere Sätze, weil sie die Wahrheit verschweigen, und es sind gefährliche Sätze. So wie Stille eben auch gefährlich ist. Das Gefühl für die Gefahr wohnt der jungen Frau inne. Es treibt sie dazu, verbotene Strümpfe zu tragen und Sportler aus dem Westen um Salbe zu bitten, obwohl Kontakt zu denen verboten ist.
Ansonsten ist zu sehen: Ihr Körper verändert sich. Er wird muskulös. Es ist nicht zu sehen, dass sie unter Essstörungen leidet. Ihr Innenleben ist von Medikamenten überwältigt, der Körper füllt und entleert sich in einem fort. Das Außenleben indes bemisst sich nach Leistungen. 1984 läuft die Jenenser Clubstaffel mit Ines Geipel in Erfurt Weltrekord. Die 42,20 Sekunden sind bis dato nicht unterboten. Aus heutiger Sicht lässt sich leicht behaupten, diesen Tag in Erfurt hätte es normalerweise gar nicht gegeben. In Stasi-Akten, in Dokumenten des DDR-Sports steht, unter welchem Druck die Frauen gelaufen sind, was für Medikamente im Spiel waren, welche Lügen. Es steht dort nicht, wie es war, als über allem die DDR-Fahne wehte, und was es eigentlich bedeutete, diese Hymne zu hören. Trotz der Akten ist es ein Tag in Ines Geipels Leben, der bleibt.
Vorerst kennt sie die Akten noch nicht. Sie hat Freunde außerhalb des Sportklubs, die zur Jenenser Opposition gehören. An der Universität, wo sie Germanistik studiert, wird zunehmend diskutiert und protestiert. Sie rennt und schweigt. In Mexiko bereitet sie sich auf die Olympischen Spiele vor, läuft einem Mexikaner in die Arme und verliebt sich. Ob nun in seiner Sprache oder in ihrer eigenen, sie kann kaum von sich erzählen, umso mehr jedoch fühlt sie: Sie muss weg. In Jena stellt man sie vor die Wahl zwischen dem Sport und den politisch verdächtigen Freunden. Sie beendet ihre Karriere und ist stolz darauf. Doch auch diese eigene Entscheidung hat es im Grunde nicht gegeben. Die Stasi will sie ohnehin nicht mehr rennen lassen. Auch das erfährt sie erst später.
Im Frühsommer 1989 reist Ines Geipel durch Osteuropa. Sie will an den Ort der ersten ungeklärten Fragen. Doch die Antworten findet sie nicht, denn in Riga lassen sich die Ereignisse nicht mehr sortieren. Die drei baltischen Sowjetstaaten reichen sich gerade die Hand. Zurück daheim holt sie ein paar Sachen und fährt nach Budapest, mit dem Bus über Land, dann zu Fuß durch die Dörfer. Es sind ihre letzten sprachlosen Stunden. Die Bauern starren sie an und dann über das Feld. Die Blicke sagen ihr, wo die Grenze ist. Nachts kriecht sie von Ungarn nach Österreich. Stundenlang auf dem Bauch, das Gesicht über dem Erdboden, am Himmel Leuchtfeuer. In der Ferne vibrieren Schüsse. Sie klettert durch Stacheldraht.
Es ist ungefähr so, als hätten die Worte für all das, was bislang in ihrem Leben geschehen ist, auf der Wiese gelegen. Jedenfalls setzt der Ton ein. Ihr Kopf dröhnt. Vom Kriechen ist ihr schwindlig, sie kann nicht stehen, auch nicht liegen. Der Pfarrer einer kleinen österreichischen Gemeinde brüht Kaffee. „Möchten Sie jemanden anrufen?“, fragt er. „Danke, nein“, antwortet sie.
In den folgenden Monaten stören die gefundenen Worte ihren Schlaf. Sie wandern durch die Träume. Morgens, nachdem sie in der Gesindestube eines Darmstädter Hotels erwacht ist, notiert sie, was sie geträumt hat. Die Worte stehen schwarz auf weiß, sie schreibt, als würde sie nach langem Luftanhalten endlich ausatmen. Dann schlüpft sie eilig in ihr rosa Dirndl und kümmert sich um die Gäste. Ab und zu serviert sie der Prinzessin von Hessen das Mahl. Die alte Dame ist nett. Es gibt aber auch Gäste, die winken den Restaurantchef heran und zeigen mit dem Finger auf die Kellnerin. „Die kommt aus dem Osten, oder? Von der will ich nicht bedient werden.“ An der schlanken, muskulösen Frau haftet das rosa Dirndl wie eine falsche Haut. „Bedienen Sie nicht an diesem Tisch“, sagt der Chef.
Worte erfüllen erst ihre Bestimmung, wenn sie ausgesprochen werden. Ines Geipel studiert in Darmstadt Philosophie. Sie gibt ein Buch über Inge Müller heraus. Die Dichterin hat sich in der DDR das Leben genommen, als Ines Geipel gerade geboren wurde. Was war das für eine Zeit, aus der man unbedingt gehen musste?, fragt sie sich. Es ist eine Frage in eigener Sache, aber ihr fehlt der Mut, von sich selbst zu sprechen. Und Worte, auch wenn sie noch so bedacht gewählt sind, erfüllen nicht zwangsläufig ihre Bestimmung. Nichts zwingt den Leser dazu, sie zu nehmen, wie sie sind. „Das ist ein Buch gegen die DDR“, sagen die Mitarbeiter im Aufbau Verlag. Wie können Gedanken, die einen Sachverhalt zu konstruieren versuchen, ihn zugleich zerstören? Schon wieder eine offene Frage, nur mit einem Unterschied: Ines Geipel kann reden und streiten. Antworten gibt es viele. Sie selbst hat diese: „Wenn man immer an einem Ort war, dann trägt man - anders als ich es tue - diesen Ort als unveränderbar in sich.“ Das erklärt die Kraft, mit der sie die Auseinandersetzungen im Verlag durchsteht. Das prophezeit aber auch: Fortan wird man sie vor allem nicht verstehen.
Das Schreiben ist Drang. Was sie mit ihrer Flucht glaubte, hinter sich lassen zu können, verfolgt sie. Sie macht ein Buch über vier DDR-Autorinnen, die in ihrem Land nicht wahrgenommen wurden. Dann schreibt sie Gedichte, dann einen Roman. Sie wühlt gnadenlos in Erinnerungen, gräbt sich in die Bibliotheken, verschafft sich Dokumente, sitzt in der Gauck-Behörde. Die Akten sind überwältigend. Sie enthalten Ungeahntes, Ines Geipel gerät an die Grenze dessen, was zu verkraften ist. Nicht weil es schwer wiegt. Sie ist stark, wie sie es nie war. Vielmehr zeigen ihr die Worte die Grenze auf: Wie in den Akten lässt sich die DDR nicht beschreiben. Dennoch wird es so getan. So, wie der Osten vom Westen aus gesehen wird, hat sie ihn selbst nie erlebt. Also versucht sie mit ihrer Sprache Räume zu schaffen, in denen sich andere aufhalten können. Räume, aus denen man sich bedacht mit Nahrung versorgen kann. Denn sie weiß, wie es ist, wenn man sich ständig auffüllt, um zu kotzen. Sie weiß, der Körper braucht ewig, um sich von dieser Störung zu erholen.
Es muss eine Logik des Lebens geben. Es ist drei Jahre her. Ines Geipels Tante liegt im Sterben und erzählt: Der Großvater hat in Riga im Finanzministerium gearbeitet und war an der Liquidierung der Rigaer Juden beteiligt. Das ist die späte Antwort auf die Frage nach den Fotos vom Strand. Die Tante sagt, dass sie und die Geschwister regelmäßig ins Ghetto gebracht wurden, um Schuhe und Kleider einzusammeln. Sie war sieben oder acht, da hat sie dort Leichen in den Gruben liegen sehen. Auf der Beerdigung spricht Ines Geipel ihre Mutter an. „Hast du dich denn nie gefragt, wo das Silber in unserem Büfett herkam?“, erwidert die.
Keinem Kind kommt in den Sinn, dass es mit dem Besteck, von dem es isst, etwas derart Grausames auf sich haben könnte. Kein Kind, und sei es auch noch so alt, will erfahren, dass die einzige Muttersprache, die es je hatte, ein Synonym für all das ist, wovon es nichts wusste. „Das kann unsere Hoffnung sein“, sagt Ines Geipel, „dass wenigstens die Sterbenden endlich sprechen.“
Ihr Roman handelt von einer Russischschule, von Mädchen im Internat, von Lehrern, die für die Staatssicherheit arbeiten, vom Blick über die Wiesen in den Wald. Der Text ist so still wie gewaltig. Es entsteht der Raum zwischen Erzählbarem und dem, was sich dem Erzählen entzieht. Ines Geipel nennt den Roman „Die Russische“, aber ihr neuer Verlag will den Titel nicht. Russisch sei allgemein diskreditiert, so ein Buch kaufe keiner. Jedoch die Einzige, die das Recht hätte, diese Sprache zu entwerten, wäre die Autorin selbst. Einmal liest sie aus dem Manuskript, da wird sie vom Publikum unterbrochen, und zwar an folgender Stelle: „Ich schäme mich für euch. Diese vier Worte ...“ Eine Frau bemerkt, dass der Satz fünf Worte zählt. Ines Geipel starrt auf ihr Blatt. Mnje stydno za was. Sie hat deutsch geschrieben, aber russisch gedacht.
Im Sommer 2000 sitzt Ines Geipel im Kriminalgericht von Moabit. Sie ist eine der Nebenklägerinnen im bislang größten Doping-Prozess in Deutschland gegen den DTSB-Vorsitzenden Manfred Ewald und den führenden Sportmediziner der DDR, Manfred Höppner. Sie hat lange überlegt, ob sie ihnen gegenübersitzen, ob sie sie sprechen hören will. „Erneut den Druck von damals spüren, wer macht das schon?“ Schließlich macht sie es 22 Tage. Sie sieht die alten Männer Vergessen mimen oder Unschuld, sie hört wieder Unfassbares, sagt aus, kämpft mit Fragen, zu denen sie immer und immer wieder dasselbe erklärt, entblößt sich, vermisst Fragen, die ihr nicht gestellt werden. Daheim auf dem Anrufbeantworter drohen ihr irgendwelche Leute. Ihre Zeugenaussage gerät ihr völlig durcheinander, sie kann ihren Gedanken nicht entkommen. Das ist gut, denkt sie, aber ich wäre dabei gern ohne Öffentlichkeit. Derweil liegt über den Bänken der Nebenklägerinnen Stille, gemacht aus den Worten, die einst fehlten und die heute niemand einfach nimmt, wie sie sind. Ines Geipel treibt es aus dieser Stille heraus, sie springt auf, spricht, rennt durch die Sätze, es gibt Beifall, und einmal will der Richter den Saal räumen. Später in der Kneipe notiert sie, was die Frauen träumen: „von Badeanzügen, die keiner mehr los wird, in denen niemand Luft bekommt, von Disken, die nicht fliegen oder Gewichten, die nicht bewältigt werden, von Sprüngen, die in der Luft hängen bleiben und von Medaillen, so schwer, dass jede unter ihnen zusammenbricht.“ Sie schreibt wieder ein Buch. Es handelt vom Prozess, die Körper der Sportlerinnen sind jetzt die Räume. Wie von Anabolika getrieben, breitet man sich in ihnen aus, es ist zum Bersten, doch nichts wird explodieren.
Als das Buch in Frühjahr 2001 erscheint, liest sie vor der Presse. Die harmloseste Frage nach der Lesung ist: Was für ein Problem haben Sie eigentlich mit sich? Ines Geipel lacht. Die nächste Frage fragt erst gar nichts: Gehen Sie gern in ein gutes Restaurant oder kaufen Sie sich ab und an was Schönes? Ines Geipel sieht den Journalisten nur an. Der letzte sagt: Sie kotzen mich an, denn Sie sind so edel.
Zu Geschichten gehört ein Ende. Akten haben eine letzte Seite. Filme sind irgendwann aus, Zeitungen sind von gestern. Alle wollen das Ende wissen. Vielleicht weil es am Ende leichter ist, eine Geschichte zu verlassen. Deshalb hören wir mittendrin auf.
Ines Geipel hebt die Tasse vorsichtig zum Mund. Sie nimmt einen Schluck. Dann fährt sie zur Hochschule für Film und Fernsehen nach Babelsberg, wo sie Verssprache und Versgeschichte lehrt. Vor Tagen hat man ihr eine Professur an der Schauspielschule „Ernst Busch“ angeboten. Ihre nächste Prosa werde von einem Hund in der Wüste handeln, erzählt sie. In der Zeitung steht, sie habe Angst, dass jemand einen Hund auf sie hetzt. „Ich habe zuweilen Angst, aber das gehört dazu“, sagt sie. In der Zeitung steht, dass sie die Kette vor die Tür legt.
Sie nimmt noch einen Schluck. Dann stellt sie die Tasse auf den Tisch - neben die Untertasse. Sagen wir mal, das passiert ihr aus Versehen. Oder sie folgt einer Laune. Komisch ist nur: Drei Tage später trinkt sie wieder Kaffee, und wieder stehen Tasse und Untertasse getrennt. Es ergibt einfach nicht das gewohnte Bild.
Nadja Klinger