Nadja Klinger

  • StartseiteStartseite
  • AlltagAlltag
  • LektüreLektüre
  • GalanterieGalanterie
  • OffertenOfferten
  • IchIch

Nadja Klinger

  • StartseiteStartseite
  • AlltagAlltag
  • LektüreLektüre
  • GalanterieGalanterie
  • OffertenOfferten
  • IchIch
  • Aktuelle Seite:  
  • Startseite
  • Galanterie
  • Galanterie – Essays
  • Gold

Galanterie – Essays, Geschichten und Wortmeldungen


Gold

Ich erinnere mich an die Krone auf meinem Nachttisch, wegen der ich das Gesicht ins Kissen drückte und weinte. Ich erinnere mich an das Gold in einer Hand voll Schnee, aus dem ich eine Kugel formen wollte. Ich erinnere mich an das Gold im Blick meiner Töchter, als sie ihre Augen zum erstem Mal öffneten.

Gold ist eine Farbe. Mehr noch. Eine souveräne Erscheinung, nicht einfach so zugegen, ein Selbst fürwahr, das seinen Auftritt hat, gediegenes Gelb mit Glanz. Und mehr noch: Aurum, Au, elfte Nebengruppe im Periodensystem der Elemente, Ordnungszahl 79, Tür an Tür mit Platin und Quecksilber, Atomgewicht 196,97, ein Metall, dazu auserkoren, sich von seiner natürlichen Umgebung nichts anhaben zu lassen. Schon tausende Jahre bevor die Menschen sich damit befassten, wie ihre Zeit vergeht, bevor sie ihr Dasein berechneten und begrenzten, haben sie das Gold an sich genommen, verstanden, bearbeitet und verwendet. Gold ist zeitlos, es bleibt, ist Ewigkeit. Kaiser und Könige haben es sich zweckdienlich angeeignet, den Göttern vertrauten wir es an. Gold ist wertvoll.

Ich schaue dich an, habe dich berührt.
Gestern hatte ich einen Traum.
Ich begehre.
Kann ich mich irren?


Das Wünschen, ebenfalls von einer hohen Festigkeit, kennt keine Regeln. Es ist meine ewige Suche, treibt mich an, hält mich auf, ist ein gutes Gefühl. Ich wünsche mir: den Heublumenduft in geschlossenen Räumen, weit und breit keine Wiese. Das Zirpen der Grillen, nirgendwo ein Tier. Wärme, obgleich die Sonne nicht scheint, die Beständigkeit eines Kaminfeuers, das in Wahrheit immer wieder geschürt wird. Das Streichorchester unter der Wasseroberfläche des Innenpools, wo keine Musiker sitzen, nur Lautsprecher in den Wänden. Die goldene Färbung des grünen Tees unterm Glasdach im Frühstücksgewölbe. Den glanzvollen Bildband, mit dem ich mich in rote Kissen bette, wiewohl ich mir es nicht leisten kann, ihn zu besitzen. Wenn ich wünsche, glaube ich: an die Kellnerin, die sagt: „Dann machen wir das so“ – dabei weiß ich doch, dass nur hier, am Tisch im Restaurant, meine Bitten auf Bestellung in Erfüllung gehen. An die Verwandlung durch die Trünke des Mixers in der schillernden Ade Bar, obgleich mir klar ist, dass auch dieser Mann nicht zaubern kann. Ich bin an einem Ort zu Gast, wo man mich zu kennen und meine Wünsche zu erfüllen versucht, ehe ich angereist bin, wo ich also niemandem eine gänzlich Fremde sein kann; dabei beheimate ich mich sonst gern im Versteck. Aber ich irre mich nicht, wenn ich begehre.

Ich habe auch im Hotel ein Versteck: mein Zimmer. Wer ich bin und sein kann, was zu geben ich vermag, wird im Alleinsein geboren, wenn meine Zeit einfach nur vergeht. Jeden Morgen, kaum dass ich zum Frühstück entschwunden bin, rühren die Damen vom Housekeeping mein Versteck an. Ich versuche, nichts zu hinterlassen, was mich verrät, und weiß doch, dass mir das nicht gelingt. Wo ich mich aufhalte, bin ich, nehme Raum ein und verändere die Atmosphäre. Schon am zweiten Tag kennen mich die Damen, am dritten signalisieren sie mir, dass sie es zulassen, wie ich hier zu leben pflege. Die große Tasse, die ich mir aus der Küche geholt habe, weil ich Gedanken, die mir am Schreibtisch kommen, unentwegt mit Tee spüle, bleibt direkt neben meinem Laptop stehen und lässt mich bei meiner Rückkehr hoffen, dass mir auch heute geholfen wird. Die Fernbedienungen liegen nicht vorm Fernseher, sondern dort, wohin ich sie verschoben habe, weil ich jeden Tag die Kamera postiere, um ein Bild von mir auf „meinem“ Sofa zu machen. Ich habe immer nur einen Versuch, auf manchen Fotos gucke ich missmutig, als sollte ich mich doch lieber in den kleinen Hafen hinterm Haus setzen und auf das Fließ schauen, das unbeirrt seine Richtung hält, oder in meine Lieblingssauna, wo Wasser über eine Wand plätschert, stets von oben nach unten, weil die Wirklichkeit nicht in meinem Kopf gemacht wird, sondern, auf ihre Weise golden, nämlich zuverlässig ist.

Ich schaue dich an, habe dich berührt.
Bist du es wirklich?
Ich irre.


Ich erinnere mich. Das Gold im Schnee, den ich zu einem Ball formen wollte – ein Ehering, breit und groß – konnte ich über zwei Finger gleichzeitig ziehen; ich war etwa acht Jahre alt. Meine Eltern ließen partout von unserer Schneeballschlacht ab und meinten, ich hätte schon gewonnen. In unserem Land konnte man, was man sich wünschte, nicht einfach kaufen, wer einen Ring haben wollte, brachte dem Goldschmied das Material und er schmolz es ein. Ich verwahrte den Fund selbst, besaß eine kleine Schatztruhe, eine Schneeballschlacht jedoch hätte mich glücklicher gemacht. Jahre später, die Mauer war gefallen, lebte ich plötzlich in einem anderen Land; mein Schatz hatte keinen Seltenheitswert mehr, Gold gab es einfach so zu kaufen, Goldschmiede hielten sich nicht mehr in der Werkstatt, sondern hinterm Tresen auf. Ich heiratete, Goldschmuck jedoch trug unsereiner nicht. Den Ehering indes hüte ich immer noch. Ich war sechzehn, als mein Vater starb. Soweit ich mich erinnere, war jene abgebrochene Schneeballschlacht die letzte mit ihm, und um so älter ich werde, desto öfter lege ich mir, was ich einst im Schnee fand, in die Hand. Der Wert dieses Goldes ist für mich ins Unermessliche gestiegen.

Unsere Sprache verrät, wie wir es mit dem Gold halten. Ein Kind ist goldig, wenn sein Benehmen uns passt. Der Herbst golden, sobald die Sonne ihn ausleuchtet, Hochzeiten sind golden, manchmal auch die Zeiten, aber nur, wenn alles so klappt, wie wir es uns vorstellen. In der Goldgrube liegt finanzieller Reichtum, goldrichtig ist, was unseren Ansichten entspricht, ein Goldstück ist genau die Ehefrau, die der Gatte sich erträumt hat. Wir meinen unsere Erwartungen, wenn wir das Gold erwähnen, nicht uns. Goldfasan, Goldfisch und Goldammer, Goldrute, Golden Delicious und Goldparmäne haben die Farbe in ihrem Antlitz. Wie der braunweiße Goldhamster zu seinem Namen kam? Das ist uns der Frage nicht wert. Wir vergeben Goldene Schallplatten, Goldene Kameras und Goldmedaillen nach dem Werteprinzip, das wir erfunden haben. Unsere Märchen erzählen, dass nur der fleißigen Marie Gold zusteht, an der faulen jedoch das Pech klebt. Rumpelstilzchen endet im Unglück, obgleich es Stroh zu Gold spinnen kann. Der Goldesel wird gestohlen, da hilft nur der Knüppel aus dem Sack. Wir verschönern unseren Blick auf die Welt, konstruieren Gemälde und Fotografien nach dem Goldenen Schnitt, rücken das Wesentliche aus dem Zentrum an den Rand, damit es unsere Sinne animiert, anstatt harmonisch und langweilig zu erscheinen.

Am Abend stehe ich vorm Eingang des Hotels, es ist windstill, dunkel und klar, und dicht über dem schwarzen Wald am Horizont meines Blickes hängt die zarte, nahezu zerbrechliche Sichel des Mondes. Ein kleiner Junge tritt ebenfalls nach draußen. Sieh mal!, bedeute ich ihm. Wir sehen, wie die Sichel die dunkle Spitze eines Baumes berührt, dann langsam in die dichte Krone hineinsinkt, schließlich verschwindet. „War das schön?“, frage ich den Jungen. „Ja“, antwortet er, „aber den Mond habe ich leider nicht gesehen.“ Das wechselhafte Antlitz eines Planeten zu kennen, etwas wahrzunehmen, was man sich nicht vorstellen kann – einem Kind ist das noch nicht gegeben. Aber uns. Einst versuchten wir, in einem Dresdner Labor Gold herzustellen, und fanden das Porzellan: den Wert des Unverhofften.

Vergoldet – in unserer Sprache meint das Dekoration. Etwas ist nicht besonders wertvoll und wir lassen es aussehen als ob. Vergolden ist geübtes Handwerk, manchmal Kunst. Kann ich das auch? Ist das Versprechen, dass das Haus, in dem ich wohne, mir gibt, an mein Dasein gebunden? Kann ich den Wert dessen spiegeln, was ich vorfinde? Kann ich durch meine Anwesenheit die Zeit anderer wertvoller machen? Ich glänze nicht, aber bin ich vielleicht goldwert?

Wer ich bin und wo ich herkomme?
Sag du es mir. Und.
Ich habe dir etwas mitgebracht.


Ich erinnere mich. Wie meine Töchter mich ansahen, nachdem ich sie zur Welt gebracht hatte – bereit, die Liebe zu leben, die Angst nicht zu fürchten, mich zu verausgaben, ihnen die beste Mutter zu sein. Das Gold in ihren Augen war ich selbst.

Im Hotel träume ich wild, weil der lichte Alltag hier, das Fehlen der festen Uhrzeit und des Internets meinen Gedanken Raum geben. Ich erzähle von meinen Träumen, die Buchhändlerin lässt uns einen Kaffee kommen, ich erzähle von mir. Ich berichte an der Rezeption, wie ich mit dem Fahrrad durch den stockdunklen Spreewald geirrt bin, von den Augen der vielen Tiere, die das Licht meines Scheinwerfers traf, und erfahre, dass die Heimwege mit dem Auto dasselbe geisterhafte Schauspiel bieten. „Hatten Sie einen guten Tag?“, fragt der Kellner, der mich zu meinem Tisch bringt – goldene Regel überall dort, wo man der Überzeugung ist, dass Höflichkeit der intellektuelle Stoff ist, der wärmt. Ich bejahe. „Und Sie?“ Er fühle sich wohl, sagt er. So geht das täglich. Dann kommt der Abend, da er mit anderen Dingen betraut ist, mich nicht an den Platz begleitet. Ich bin gerade beim Hauptgang, da tritt er doch noch an meinen Tisch. Ob ich einen guten Tag hatte. Und selbst? Es habe grau angefangen heute Morgen, berichtet er, nun gäbe es viel zu tun, keine Zeit mehr für dunkle Gedanken, und Gäste wie ich bereiteten ihm Freude. Unser Abschied ist ein flüchtiges Winken, eine handwerkliche Kleinigkeit, ein kleines Kunststück: Wir haben uns gegenseitig den Abend vergoldet.

Ich erinnere mich. Faschingsfest im Kindergarten. Als wer willst du gehen? Ich wagte es nicht, mich zu äußern. Nur noch zwei Tage, mein Schatz. Ich druckste herum, fand mich hässlich, unbrauchbar selbst für die Verwandlung, aber wenigstens einen Nachmittag lang wäre ich gern die Königin gewesen. Am Abend vor dem Fest, meine Mutter hatte tatsächlich ein Königinnenkleid aufgetrieben, bauten wir einen Kopfschmuck aus Pappe. Unter den Wasserfarben in meinem Tuschkasten fand sich nur Gelb, ich stieg ins Bett und weinte. Als ich eingeschlafen war, zog meine Mutter los, überall wohnten Mädchen, für die Faschingskronen bereitlagen; sie hätte beleidigt oder verärgert sein können, hatte sich so viel Mühe gegeben, aber das Wertvollste war ihr: ein glückliches Kind. Auf der Feier im Kindergarten tanzte ich mit einem Cowboy. Ich erinnere mich, wie beeindruckend die großen Revolvertaschen waren, die beiderseits an dem breiten Gürtel baumelten, den man zweimal um seine Hüften geschnürt hatte. Er war traurig. Da seine Eltern sich um sein Auftreten sorgten, hatten sie die Platzpatronen einbehalten und seine Waffen waren nicht geladen. Ich erinnere mich, an diesem Tag nicht hässlich gewesen zu sein, daran, dass der Glanz vom geborgten Gold auf meinem Kopf in mein Gesicht strahlte und ich den Cowboy anlächelte, dass meine Schüchternheit wie von allein nach seinen Händen griff. Es gibt ein Bild von uns beiden, eine vergilbte Schwarzweißfotografie, auf der ich deutlich sehe, wie mein Glanz sich auf ihn übertrug.

Nadja Klinger

» Zurück Galanterie Überblick

  • Zurück
  • Weiter

© 2025 Nadja Klinger

Startseite |  Impressum | Datenschutz | Kontakt | Instagram Instagram